Reine Illusion
Hans Kotter zeigt nichts.
Was sich ernüchternd anhört, ist tatsächlich die große Kunst, das Nichts, das uns umgibt, sichtbar zu machen. Denn ohne Licht, ohne Brechung und Reflexion lebten wir in einer farblosen und damit konturlosen Welt. Auf einzigartige Weise interpretiert Hans Kotter also diese Illusion, die uns tagtäglich umgibt; er arbeitet Essenzen dieser optischen Täuschung heraus und bringt uns die Schönheit des Details und des Sehens nahe. Er macht Schatten zum Hauptdarsteller, rückt Alltagsgegenstände wortwörtlich ins rechte Licht, lässt sie mit Neonschein agieren und irritiert Auge und Geist gleichermaßen durch die Auflösung ihrer Funktion. Visuelle Stolpersteine als strahlende Objekte von geschmeidiger Ästhetik.
Inspiration findet Hans Kotter im Leben – im wahren Leben. In Baumärkten und auf Messen, überall wo handfestes Material ihm Spielbälle in Form von spezifischen Eigenschaften zuwirft. Denn jede Materie reagiert anders auf sein Werkzeug, reagiert anders auf das physikalische Phänomen »Licht«. Die eigentliche Faszination seiner Arbeiten liegt aber nicht unbedingt darin, selbiges zu inszenieren, den verwendeten Gegenständen in Originalgröße (neuen) Sinn zu verleihen – es ist vielmehr das grandiose Zusammenspiel, das eine Veränderung der eigenen Wahrnehmung bewirkt. Hans Kotter zaubert nicht nur mit den Quellen des Lichts, er leuchtet aus, bringt auf den Punkt, was sich eigentlich im Dunklen abspielt. So wie sein Ausdrucksmittel nicht greifbar ist, so wenig offensichtlich sind seine Werke: Hans Kotter manifestiert Aussagen, die es erst zu entdecken gilt. Es sind Metaphern, die bisweilen verwirren und das eigene Interpretationsvermögen in Frage stellen. Sind hier denn freie Auslegungen erlaubt? Ja, sicher, aber bitte die Ironie, die in Kotters Werken steckt, tunlichst beachten!
Keine seiner Installationen könnte jedoch ent- und bestehen, wenn es den Raum nicht gäbe. Eher im Sinne einer Leinwand zu sehen, ist er bei Kotter das Feld, das bespielt wird. Aus ihm heraus entstehen feine Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen, humoristische Anspielungen auf die Absurditäten des Lebens und damit sehr persönliche Geschichten, die subtil erzählt werden.
In dieser Ausstellung nun darf sich der Besucher mit der Endlich- oder vielmehr Unendlichkeit des Raums beschäftigen – imaginäre Welten entstehen durch eindrucksvolle 3D-Grafiken, die wie eine Spirale immer weiter mit sich ziehen und kaum wieder loslassen. Ein Sog, der den Blick versinken lässt und neugierig auf un- im Sinne von nicht-fassbare Tiefen macht. Zudem lädt ein neues Werk mit dem Titel Big Bang ... Interruption erneut zu einem Verwirrspiel ein und präsentiert ein Alltagsphänomen in neuem Kontext. »Es zeigt die Momentaufnahme eines Desasters, aber zugleich auch die Entstehung von etwas neuem vermeintlich besserem auf«, erzählt Hans Kotter und damit von der Faszination und Schönheit einer Katastrophe.
Das Licht – nicht nur Instrument des künstlerischen Schaffens, sondern auch der fokussierende Scheinwerfer auf das Leben, die Gesellschaft, ihre Schwächen und Eitelkeiten. Ein Spot, der mit einem Augenzwinkern kurz weh tut, aber durch seine Ästhetik und Ironie zugleich mit der Welt versöhnt. Man sollte es also wie so oft mit Goethe halten, dessen letzte Worte bekanntlich verlangten: Mehr Licht!
(Bettina Schulz, Herausgeberin novum – world of graphics Magazin, 2013)
http://www.galerie-stock.net/en/archive-2013/169-hans-kotter-superposition (14.10.2019)