In die Ausstellung der !Mediengruppe Bitnik (Carmen Weisskopf *1976/Domagoj Smoljo, *1979) im Kunsthaus Langenthal geht das Publikum wie in einen Klischeepuff. Gleich zu Beginn muss es sich an einem aufdringlich im Eingang lungernden, sogenannten „Angel at Work“ vorbeidrücken, der mit onlinechat-erprobtem französischem Charme auf ihn einflirtet. Dahinter warten vier weitere dieser Damen, die, je nach Vorliebe, ihre Dienste auf Englisch, Spanisch, Japanisch und Deutsch anbieten. Sie sind nicht aus Fleisch und Blut, sondern humanoiden Schönheitsklischees angeglichene Avatare. Aus LCD-Bildschirmen auf mannshohen Gestellen betreiben sie mit auf angenehm getrimmten Maschinenstimmen chatroom-typische Animierkonversation. Schaut man einer dieser virtuellen Damen aus der Nähe in die maskierten Augen, wirkt die Ansprache durchaus persönlich. Entfernt man sich jedoch ein paar Schritte vom Bildschirm, füllt ein vielsprachiges Stimmgewirr den schlauchförmigen Raum, und es stellt sich eher das Gefühl ein, in die Massenabfertigung eines Flirt-Callcenters geraten zu sein. Beide Eindrücke haben damit zu tun, wie sie generiert wurden. Was die „Damen“ von sich geben, stammt von dem real existierenden Online-Datingportal Ashley Madison. Diese Plattform wurde 2015 gehackt. Alles, was dort gechattet wurde, Profile von 33 Millionen Nutzern und viele andere Daten wurden veröffentlicht. Aus diesen Daten geht unter anderem hervor, dass Millionen männlicher Nutzer nur wenige weibliche gegenüberstehen. Um diese Unwucht auszugleichen, hat Ashley Madison Zehntausende virtuelle weibliche Nutzer, sogenannte Fembots, programmiert, die menschliche Kommunikation simulieren und kontaktwillige Männer in eine – kostenpflichtige – Konversation verwickeln.
!Mediengruppe Bitnik hat sich diese Daten zunutze gemacht, um das zuvor gut gehütete Betriebsgeheimnis in öffentlich begehbare Kunst zu verwandeln. Zu diesem aufklärerischen Impuls passt auch eine der Installationen in den vom Flur abgehenden Nebenräumen: Dort soll ein Laserdrucker über die Dauer der Ausstellung sämtliche 197.000 geleakte Firmen-Emails ausdrucken. Aus dieser Kommunikation geht auch hervor, dass die Fembots intern nie Bots, sondern Angel genannt wurden. Daher die Bezeichnung „Angel at Work“ für die virtuellen Animierdamen im Kunsthaus. (...)
Die Summe der Ausstellung ist allerdings mehr als ihr aufklärerisch-aktivistischer Aspekt. Am eindringlichsten wird das in den Räumen mit den stummen Bots spürbar, die schüchtern am Boden in der Ecke stehen. Man fühlt sich hier wie in einer Mischung aus Tiergehege und Hinterzimmer für Zwangsprostitution. Ein gewisser melancholischer Respekt für eine fremde Wesensart steigt auf, die wir unserer Art gemäß zwischen Kommerz und Vergnügen mitleidlos zur Schau stellen. (...)
http://magazin.artline.org/916-die-engel-von-ashley-madison (20.07.2020)