Von zwei Kunst-am-Bau-Wettbewerben für das grundsanierte Bürogebäude Wilhelmstraße 65 des Deutschen Bundestages bezog sich einer auf die Standorte Foyer und den Tunnel, der das Haus unterirdisch mit dem Jakob-Kaiser-Haus und so auch mit den übrigen Bundestagsgebäuden verbindet.
Den mit dem Fahrstuhl oder über Treppen erreichbaren, etwa acht Meter unter der Erde liegenden Verbindungsgang hat die Berliner Künstlerin Gunda Förster (Jahrgang 1967) mit vertikalen und horizontalen LED-Lichtstäben ausgestattet. Die Lichtleisten werden von 6 x 6 Zentimeter starken profilbildenden Acrylglasrahmen eingefasst, deren Filterglas die Wirkung der gelben LEDs nuanciert und verstärkt, so dass dank der torähnlichen Anordnung und Erscheinung der Leuchten in der Passage eine intensive gelborangefarbene Lichtstruktur entsteht.
Der Tunnel an sich ist in keiner Weise auf Eleganz oder Repräsentanz angelegt. Er stellt eine schnelle Verbindung zu den übrigen Bundestagsgebäuden her und wird von Funktions- und Sicherheitsanforderungen und der Enge geprägt, die geschlossene Tunnel üblicherweise mit sich bringen. Etwa in der Mitte verringert er seine Höhe und knickt dort auch ab. Gunda Förster geht differenziert auf die Architektur ein, indem sie Tempo und Rhythmus der insgesamt 43 Lichttore variiert und die Zahl der Leuchtstäbe zur Mitte des Tunnels hin erhöht.
Die Installation stellt die Wahrnehmung des Raums auf den Kopf. Dabei „verschönert“ das Licht weniger den Raum. Vielmehr entschärft es die sprichwörtliche „Tunnelsituation“, die viele Menschen beängstigt, und erzeugt in der Suggestion von warmem Tages- beziehungsweise Sonnenlicht eine positive Atmosphäre. Försters Kunst reagiert auf die wahrnehmungsästhetischen Belange und Anforderungen des Ortes. Die Kunst nimmt den Nutzer des Tunnels für sich ein, ohne den Passierenden mit dem „Wohlfühl“-Design eines unstrukturierten, diffusen Lichts zu überwältigen. Vielmehr gliedert sie das Licht staccatohaft und vermittelt es in der Dosierung rhythmisch gestaffelter Lichtstäbe. So treffen hier gestalterische Prinzipien aufeinander. Alte kunsttheoretische Diskurse um den Vorrang von Farbe, die für Gefühl steht, und Formgebung, die für Intellekt steht, erlangen in der Harmonisierung eine anspruchsvolle künstlerische Aktualität.
https://www.museum-der-1000-orte.de/kunstwerke/kunstwerk/raum-struktur-rhythmus (16.05.2019)