Heute, in einer Zeit, die den individuellen baukünstlerischen Erfindungen grossen Spielraum gewährt und die sich im Zeichen der computergenerierten Blob-Architektur auch wieder für das Organisch-Irrationale zu begeistern vermag, ist das Jahrhundertwerk von Ronchamp aktueller denn je. Diesem Form-, Raum- und Lichtwunder, das sich in Le Corbusiers Schaffen bereits nach 1946 ganz leise in den Entwürfen für die skulpturale Dachlandschaft der Unité d'habitation in Marseille ankündigte, ging eine Lebenskrise des Meisters voraus. Auslöser dieser Krise, die Le Corbusier schliesslich ganz neue Horizonte eröffnen sollte, war das Scheitern seiner algerischen Stadtbaupläne, für welche er vergeblich das Vichy-Regime zu gewinnen hoffte. Nach diesem politischen Sündenfall zog sich Le Corbusier ernüchtert ins Pyrenäendorf Ozon zurück. Wohl weniger, um Sühne zu leisten, als vielmehr, um sich neben der Modulor-Theorie ganz der Malerei zu widmen, die ihm immer wieder ein Mittel der architektonischen Selbstfindung gewesen war. Damals entstanden plastisch wirkende Bildsujets, die er seit 1945 zusammen mit dem Kunsttischler Joseph Savina zu «akustischen» Skulpturen weiterentwickelte. Diese organisch geformten, oft farbig gefassten Holzobjekte strahlen in den Raum aus, um das Echo mit konkaven «Rezeptoren» wieder einzufangen. Roman Hollenstein
https://www.nextroom.at/building.php?id=11131 (12. 05. 2019)