Olafur Eliasson in der Tate Modern
Übers Wetter reden
Zu nass, zu warm, zu kalt, zu stürmisch – Small Talk übers Wetter. Olafur Eliasson macht was draus. Als in Berlin lebender Isländer war er geradezu prädestiniert für die Idee, das Wetter in einer seiner Arbeiten zu thematisieren. Besonders faszinierte ihn dabei das sozialisierende Potential des Themas. Jeder hat seine individuelle Meinung dazu, das Wetter ist etwas, das uns alle miteinander verbindet – ganz gleich, welcher gesellschaftlichen oder kulturellen Schicht wir angehören. Sei es zur Geschäftsanbahnung, als Lückenfüller bei allzu peinlichen Gesprächspausen oder als Studienobjekt unzähliger gelehrter Wissenschaftler – das Wetter ist ständig in aller Munde. Und das weltweit, kulturübergreifend, seit Menschengedenken.
Besonders bei Insel-Nationen wie eben Island oder Großbritannien waren Studium und Interpretation der sich permanent ändernden atmosphärischen Strömungen immer schon überlebensnotwendig für Farmer und Seeleute. Und so haben sich verständlicherweise insbesondere unsere Nachbarn des Vereinigten Königreichs bis heute eine sprichwörtliche Affinität zum Wetter erhalten. Der Brite an sich spricht gern und ausführlich übers Wetter, im Taxi, an der Bushaltestelle oder um – in der Werbung - die herausragende Sprachqualität eines Telefons zu demonstrieren. Wo also sonst sollte Olafur Eliasson sein "Weather Project" realisieren, wenn nicht in dem Land der Wetter-Fachleute schlechthin?
Die Londoner Tate Modern bot ihm dazu buchstäblich genügend Freiraum: die gesamte Turbinenhalle, das architektonische Mittelstück der Tate Modern, mit ihren gigantischen Ausmaßen von 155 Metern Länge und 31 Metern Höhe stellt die Kulisse zu Eliassons wahrhaft gewaltigem Schauspiel. Eine riesige gelbe Sonnenscheibe hüllt die ansonsten unbeleuchtete Halle in eine wundersam anmutende Indoor-Sonnenuntergangs-Stimmung. Nebelschwaden wabern umher, von Zeit zu Zeit spürt der erstaunte Besucher eine leichte Brise, und so mancher fühlt sich gar dazu inspiriert, sich einfach auf den Boden zu legen. Warum? Etwa, um ein paar letzte Sonnenstrahlen des Tages zu genießen? Oder doch eher, um das eigene Abbild in der vollverspiegelten Decke zu betrachten? Überhaupt ist es erst die riesige Spiegelfläche, die die Sonne rund macht, denn bei genauerem Hinsehen besteht der gelbe, beleuchtete Kreis nur aus einem Halbkreis, und erst das Spiegelbild macht aus daraus eine runde Sache. Diese Erkenntnisse - und das genauso offensichtlich und für jedermann klar erkennbare Vorhandensein von Pumpen, Leitungen und Lampen - ziehen also nach dem ersten verzückten Sonnenuntergangs-Stimmungs-"Oooh!" ein eher ernüchtertes "Ah" nach sich.
Der Betrachter ertappt sich förmlich dabei, wie er die Perspektive wechselt, vom Erlebenden zum Sehenden, ungefähr so wie im Film "Die Truman Show" die Perspektive wechselt. Truman weiß nicht, dass sein ganzes Leben eine ununterbrochene TV-Show ist. Seine gesamte Umgebung, die Menschen, die Stadt, auch das Wetter, sind für ihn so real, wie das Leben eben nur real sein kann. Als er bemerkt, dass irgendetwas nicht "normal" ist, verschwindet er aus den Sichtfeldern der Kameras, und der Regisseur draußen ordnet mitten in der Nacht den Sonnenaufgang an, um Truman wiederzufinden. Eine ähnlich gottgleiche Position nimmt auch Eliasson bei seiner Arbeit ein: das Auf- und Abziehen der Nebelschwaden, die leichte Brise, ab und zu gar kleine Wolkenfelder, all diese Phänomene folgen in der Tate Modern einem von Eliasson eigens zusammengestellten Plan.
Doch nicht nur das Wetter und dessen Nachbildung an sich ist in Olafur Eliassons Arbeit ein zentrales Thema, auch der Raum, die gesamte Tate Modern, gehört zum "Weather Project", mit all den Werken der anderen Künstler, mit Besuchern und Angestellten, von der Reinigungskraft bis hin zum Chefarchivar. Für Eliasson ist das Museum ein Mikrokosmos der Gesellschaft, eine eigene kleine Welt, die genau parallel zur "großen" Welt draußen verläuft. Die Gesellschaft umfasst ein Sammelsurium von individuellen Erfahrungen, individuellem Wissen und individuellen Eigenheiten – genau wie ein Museum im Kleinen diese heterogenen Sichtweisen in sich vereint und verkörpert.
So findet sich in der Tate Modern derzeit also, wenn man es "von außen" betrachtet, eine Miniatur der Welt, in der wir leben, und das mit all den – zuweilen chaotischen – Strukturen der Gesellschaft. Und mit einem an sich ähnlichen Phänomen, das uns täglich begleitet, das wir beobachten und interpretieren, das aber letztendlich für uns unkontrollierbar und chaotisch bleibt: dem Wetter.
Und während wir immer noch staunend in den inzwischen gar nicht mehr so romantischen Sonnenuntergang blicken und uns der Tatsache bewusst werden, dass wir uns soeben sehen sehen, ist Olafur Eliasson selbst schon wieder unterwegs in Sachen "Wie wir Naturphänomene wahrnehmen" und hat Mitte Januar in Reykjavik auf Island sein neuestes Projekt vorgestellt, mit dem Titel "Frost Activity".
"The Weather Project" ist in der Turbinenhalle der Tate Modern, London, noch bis zum 21. März 2004 zu sehen. Der Eintritt ist frei, geöffnet ist von sonntags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags und samstags von 10 bis 22 Uhr. Der Ausstellungskatalog kostet 19,99 Pfund.
http://www.kunstmarkt.com/pagesmag/kunst/_id60569-/ausstellungen_berichtdetail.html?_q=