Mit Räumen zeichnen
Andreas Schmid über seine künstlerische Herangehensweise:
Ich verstehe meine Gedanken zum Thema »Präzision und Offenheit – mit Räumen zeichnen« als einen Diskussionsbeitrag zur Erörterung des aktuellen Zeichenbegriffs. Meine Ausführungen mache ich als Künstler, der sich seit längerer Zeit mit dem Begriff der Zeichnung und ihrer Ausdehnung in den Raum auseinandersetzt. Für mich spielt in diesem Zusammenhang der Begriff des »zeichnerischen Denkens« eine wichtige Rolle. Arbeiten, die in diesem Zusammenhang entstehen, unterscheiden sich von denjenigen aus Welten, die eher von einem malerischen oder einem skulpturalen Denken geleitet sind.
Zeichnen mit dem Raum heißt Einbeziehung des Raumes oder der Funktion eines Raumes in eine Arbeit, die von zeichnerischem Denken geprägt ist. Das Ergebnis zeigt sich an Wänden, Decken, Böden oder in der Durchdringung des gesamten Raumes oder des Außenraumes. Es geht mir nicht um abgeschlossene, hermetische Arbeiten an einer Wand oder einem Wandteil, die sogenannten »wallpaintings«, sondern um solcherlei Arbeiten, in denen zusätzlich die Umgebung auf verschiedenartige Weise in das Ergebnis eingebunden ist. Die Zeichnung im Raum muß nicht auf eine tastbare Körperlichkeit verzichten, die das Werk zu einem wirklich plastisch-räumlichen macht; sie kann aber auch durch die Immaterialität des Lichts gebildet werden.
Zeichnungen mit dem Raum haben, wie oben erwähnt, eine bestimmte Art zu denken zur Voraussetzung. Dieses Denken kann selbstverständlich nicht dogmatisch festgelegt werden. Es ist jedoch möglich, einige Komponenten zeichnerischen Denkens zu benennen.
Zunächst ist es die ›Prozeßhaftigkeit‹, die in den Arbeiten sichtbar bleibt. Die technische Umsetzung ist nahezu ablesbar, wird nachvollziehbar. Außerdem spielt der Prozeß des Betrachtens eine wesentliche Rolle bei der Erfassung des Kunstwerkes, d.h. es besteht aus einzelnen Teilen, die durch den Betrachter zusammengefügt werden.
Zu dieser Prozeßhaftigkeit gesellt sich gleichzeitig die Komponente einer visuellen Offenheit hinzu. Die Arbeiten sind nicht abgeschlossen oder hermetisch. Ihre visuelle Grundlage sind Linien und lineare Strukturen. Die Linie schwankt zwischen sinnlicher Beschreibung eines Gegenstandes und der daraus erwachsenden abstrakten Erkenntnis. Derartig rein grafische Linien repräsentierten früher eine allgemeingültige Form, die von allem unnötigen Beiwerk oder Einzelheiten gereinigt war, auf welche die sinnliche Wahrnehmung der Gegenstände sonst stößt. Heute kann man nicht mehr von der Gültigkeit der Reinheit der Linie sprechen. Sie ist gebrochen. Ihre lineare Struktur oszilliert zwischen präziser Schärfe und Offenheit.
Ein weiteres Merkmal zeichnerischen Denkens ist eine ›musikalische Komponente‹. Sie wird im Zusammenspiel von Form und Raum wirksam, das oft eigene charakteristische Klänge stimuliert. Das ›Prozessuale im Verlauf der Zeit‹ läßt sich auch bei einigen Arbeiten, in denen die Veränderung des natürlichen Lichtes eine Rolle spielt, beobachten.
Im folgenden werden einige unterschiedliche Herangehensweisen und Möglichkeiten von »Zeichnen mit dem Raum« vorgestellt. Die Auswahl der Künstler ist subjektiv getroffen. Es sind Künstler, die für meine Arbeits- und Denkweise anregend waren. Die Ergebnisse sind unterschiedlich, da ›Raum‹ immer unterschiedlich wahrgenommen wird. ...
http://www.andreasschmid.info/index.php?l=lb&w=t (29.04.2021)