Johann Hartle: Keine Schönheit ohne Gefahr – Zu den Raumpathologien Paul Schwers
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Diese ‹berschreitungsgeste lässt sich wiederum nach zwei Seiten hin deuten: als Chiffre politischer (c) und psychischer Krisen (d). In den Arbeiten von Paul Schwer (wie auch im Bandnamen der Einstürzenden Neubauten) vereinigen sich beide Gesten in einer Raumsymbolik, bei der die Arbeit am räumlichen und architektonischen Gefüge für politische Ausdruckspotentiale als auch die Aneignung des eigenen Körpers einsteht. Diese beiden Dynamiken haben wiederum eng mit der Besonderheit der Installation zu tun, die ein zentrales Thema in der Arbeit Paul Schwers ist (b). Vor allem präsentieren sich diese Reflexionen aber als kritische Diskussion eines Konzepts von künstlerischer Autorschaft, indem sich romantische Mythologie und Psychopathologie überlagern (e).
(b) Beginnen wir mit diesen medienreflexiven ‹berlegungen zum Hybridmedium der Installation. Installationen können aus prinzipiell allem bestehen, sie durchkreuzen die jeweils medienspezifischen Traditionen und führen Materialien, Verfahrensweisen und Kontexte zusammen, indem sie einen Raum in den jeweiligen Ausstellungsraum hineinstellen. Man hat auf die Theatralität installativer Verfahren hingewiesen, die sich – bei gleichzeitiger relativer Aufhebung der Trennung von Zuschauerraum und Bühne – ihren jeweils eigenen Raumkontext schaffen. Installationen konstruieren eine Welt in den Raum, deren Konstruiertheit aber auch sichtbar bleibt: In das Bett, das Paul Schwer zum Teil seiner Installation im Beethoven-Hotel in Bonn gemacht hat (Abb 1 „wall- painting“, Hotel Beethoven,Installation, Leuchtsstoffröhren, Dachlatten, Acryl, Bett, 2009/2010), legt man sich nicht mehr hinein, weil es eben Teil einer Installation ist (und damit eines zweiten Bedeutungsraumes im Raum) – ganz unabhängig von der Tatsache, dass dieser Raum durch aggressive meteoritenhafte Einsprengsel aus Latten, Lichtröhren und Kabeln gestört ist.
Die Metaphorik des Gerüsts ist für diesen sichtbar konstruktiven Charakter von Installationen sprichwörtlich. Sie sind tatsächlich eines der Hauptmerkmale der installativen Kunst von Paul Schwer. Lattenraster, Baugerüste und Wandskelette sind sein bevorzugtes Material und Sujet. Gerüste, Gestelle und Skelette sind Konstruktionsmittel, die in ihrem vorläufigen und abstrakten Charakter sichtbar werden. Sie haben provisorischen oder Modellcharakter, sie sind noch fragil und sind unverkleidet.
Heideggers hat mit dem Begriff des „Ge-stells“ (mit dem die Etymologie der ‚Gestalt’ heraufbeschworen wird und ein Wesenszug künstlerischer Gestaltungsprozesse angedeutet sein soll) eben diesen Zusammenhang angedeutet: die Vorläufigkeit und Durchsichtigkeit von ästhetischen Welten. Interessanterweise ist der Begriff des Gestells als installation ins Französische übersetzt worden.
Paul Schwers Bauteile sind aber keine konstruktivistischen Weltbestandteile eines noch ausstehenden Projekts, das sich perspektivisch in einen narrativen Gesamtzusammenhang einbetten ließe (Lissitzkys konstruktivistische Lenin-Tribüne ist ein Gerüst , das sich wohl weitgehend als solcher Vorgriff verstehen lässt). Sie greifen nicht auf eine positive Ordnung vor, sondern sind entweder beschädigt, unterbrochen oder im Abbau begriffen. Sie sind (wie vielleicht Gestelle und Gerüste überhaupt) modellhaft, unvollständig und ostentativ klapprig. Die Konstruktionen aus Kabeln, Leuchtröhren und fragil aneinander geschraubten Latten tragen sich gerade so selbst und wackeln gleichsam unter ihrem eigenen Gewicht– eine existenzielle Metapher. ( Otterndorf, Installation, Ausstellung Paul Schwer, 2011 Bild Nr. 2418 etc )
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Text is only available in German http://paulschwer.de/keine-schoenheit-ohne-gefahr/ (08.07.2021)